Zum Leserbrief „Rotgrün treibt Stadtrat vor sich her“, Ausgabe vom 25. September
Sehr geehrter Herr Wyss, in Ihrem Leserbrief schreiben Sie: „Zum Glück sind die meisten Fürsorgeabhängigen anständige und korrekte Leute. Doch die wenigen, die sich mit Einsprachen und Gang zum Ombudsmann den Anforderungen und Auflagen des Amtes widersetzen, haben nun Aufwind.“
Sie behaupten damit, dass Sozialhilfeklient*innen nicht anständig und korrekt sind, wenn sie gegen eine Verfügung der Sozialbehörde ein Rechtsmittel ergreifen. Die Sozialbehörde ist weder allmächtig, noch unfehlbar. Ihr Handeln ist an klare, kantonale Vorgaben gebunden. Bei deren Anwendung macht sie zwangsläufig Fehler, die auch dank Rekursen entdeckt werden. Die Behörde ist somit nicht automatisch im Recht, wenn sie etwas verfügt.
In Bezug auf den Ombudsmann ist Ihre Äusserung noch viel abwegiger, da er von der Stadt selbst dafür angestellt wurde, um zwischen den Ämtern und der Bevölkerung zu vermitteln und damit rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten – dazu gehören auch Rekurse sowie der Gang zum Ombudsmann. Die Menschen dieser Stadt sind für Amtsträger wie Sie und mich unsere Auftraggeber, nicht unsere Untertanen.
Julian Croci, Gemeinderat Grüne
3. Oktober 2020 um 11:07 Uhr
Lieber Julian,
dein Leserbrief hat mir sehr gefallen. Auch mir ist diese Zuschrift von Orlando Wyss sauer aufgestossen. Ein Rechtsstaat ist immer auch ein Rechtsmittel-Staat. Und gerade für SozialhilfebezügerInnen sind Rechtsmittel ganz wichtig; sie erlauben es den Betroffenen, die Opferrolle zu verlassen und sich auf die Hinterbeine zu stellen und so ihre Würde zu wahren. Aber es bleiben unbequeme Fragen: Sind diese Menschen überhaupt in der Lage, diese Rechtsmittel auszuschöpfen ? Sind sie genügend informiert und haben sie genügend Selbstvertrauen, um sich zu wehren ? Bei wem können sie Unterstützung holen ?
Mit herzlichem Gruss
Hansruedi Schwarzenbach