Warum bei Poulet und Eiern «Made in Switzerland» nicht ganz ehrlich ist.
Im Zuge der Kampagne zu den Agrarinitiativen wird die Tonalität je länger, desto aggressiver und gehässiger – auf beiden Seiten. Ich bin die Letzte, die in die Empörungsschreie der «Agrarlobby stoppen»-Kampagne einstimmen wird, aber auch die Letzte, die Fakten so lange verdreht, bis sie vom Kopf wieder auf den Füssen stehen.
Anlass für diese Kolumne ist eine kürzlich ausgestrahlte Diskussion zu den Initiativen, bei der einmal mehr der sinkende Selbstversorgungsgrad erwähnt und ins Feld geführt wurde. Und wie immer, wenn zu dieser Messgrösse Zahlen in die andächtig nickende Runde geworfen werden, rollen sich mir die Zehennägel. Es wurde positiv auf den hohen Selbstversorgungsanteil bei der Eier- und Pouletproduktion hingewiesen und darauf, dass wir zu einem Löwenanteil Schweizer Eier in unseren Regalen vorfänden. So weit, so korrekt.
Nicht eingerechnet in diesem Selbstversorgungsgrad ist jedoch der hohe Futtermittelimport der Schweiz – rund 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr –, der benötigt wird, um unsere Tiere zu ernähren. Insbesondere bei der Poulet- und Eierproduktion gilt es jedoch eine weitere Frage zu stellen, die bisher kaum Eingang in die öffentliche Debatte fand: Was ist ein Schweizer Poulet?
«In der Schweiz hergestellt» kann auch ein brasilianisches Poulet sein, sofern es in der Schweiz «bearbeitet» wurde. Dazu genügt schon, wenn das Fleisch hier mariniert wird. Und selbst wenn die Masthühner in der Schweiz geboren werden, beziehen die beiden marktbeherrschenden Systembetriebe SEG (Vertragsbetriebe von Coop) und Optigal (Migros) alle Elterntiere aus dem Ausland. Sie werden als frisch geschlüpfte Küken in bis zu 48 Stunden dauernden Transporten in die Schweiz importiert und legen dann die Eier, aus denen die «Endprodukte» schlüpfen.
Als Konsequenz der intensiven Produktion und der Spezialisierung auf schnell wachsende «Masthybriden» beziehungsweise «Legehybride» beherrschen zwei Firmen die Genetik von drei Vierteln allen Mastgeflügels weltweit. Hier von «Selbstversorgungsgrad» und «Schweizer Eiern» zu reden, ist einfach nicht ganz ehrlich.
Ganz wichtig ist mir aber, die Schuld für diese Situation keineswegs den Bauern zuzuschieben; sie sind in einer Abhängigkeit und unter einem Preisdruck, der ihnen kaum andere Möglichkeiten bietet. Dies ist kein weiterer Artikel einer Umweltaktivistin gegen die produzierende Landwirtschaft – im Gegenteil. Ich wünschte mir, dass wir uns nach diesen Abstimmungen wieder zusammensetzen: Bauern, Umwelt- und Tierfreunde und gemeinsam für unseren kleinsten gemeinsamen Nenner kämpfen: weg von der Abhängigkeit von Grosskonzernen und Detailhandel, hin zu fairen Preisen für Bauern, extensiverer Produktion und vor allem hin zur Vernetzung von Konsumierenden und Produzierenden.
Nur wenn wir Konsumierenden ein Verständnis für und den Respekt vor der Landwirtschaft und Lebensmitteln vermitteln, werden wir das Umdenken anstossen, das wir in Bezug aufs Konsumverhalten so dringend brauchen und das allen zugutekäme.
Meret Schneider, Nationalrätin Grüne Kanton Zürich
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