Seit dem 7. Oktober hat sich die Anzahl antisemitischer Vorfälle in der Schweiz vervielfacht. Die Messerattacke auf einen jüdischen Herrn durch einen 15-Jährigen in Zürich-Selnau markiert bislang den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG beklagt auch explizit eine starke Zunahme antisemitischer Vorkommnisse an Schulen. Bereits seit 2002 betreibt er das Projekt „Likrat für Schulen„: Jüdische Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren sensibilisieren die Schulklassen und bauen so Vorurteile ab. Es gibt auch einen Dokumentarfilm über Likrat an einer Hinwiler Schule. Das Angebot kann auch für andere Arten von Institutionen gebucht werden.
Unsere Fragen:
Grüne: Gibt es an der Primarschule Dübendorf aktuell Präventionsmassnahmen gegen Rassismus und insbesondere Antisemitismus und wenn ja, wie sehen diese aus? Wenn nein, warum nicht?
Stadtrat: Die Schulsozialarbeit der Primarschule Dübendorf arbeitet präventiv mit Schulklassen zu Themen wie Vielfalt, Toleranz und Verschiedenheit. Die Lehrpersonen können sich an die Schulsozialarbeit wenden, falls das Thema Rassismus bei ihnen in der Klasse auftaucht. Die Schulsozialarbeit plant in diesen Fällen in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen Klasseninputs – in Form von Geschichten, Spielen, Diskussionen oder Umfragen zum Thema. Zudem stellen sie ihnen Material und Ideen aus ihrer Sammlung zur Verfügung.
Spezifisch zum Thema Antisemitismus gibt es bis anhin keine expliziten Präventionsangebote der Schulsozialarbeit. Die Auseinandersetzung mit Religion und Kultur in der Primarschule Dübendorf orientiert sich an den Grundlagen und Eckwerten für das Fach „Religion, Kultur, Ethik“ des Volkschulamtes: „Religion und Kultur ist ein religionskundlicher Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler lernen die religiösen und kulturellen Wurzeln unserer Gesellschaft, aber auch Merkmale und Überlieferungen anderer Religionen und Kulturen kennen und achten. Ethische Gemeinsamkeiten der verschiedenen Glaubensbekenntnisse erfahren eine besondere Beachtung.“
Die Schulsozialarbeit Dübendorf setzt sich auch teamintern regelmässig mit dem Thema Rassismus auseinander und bildet sich weiter, um die Schulen zu unterstützen. Die diesjährige Retraite findet zum Thema Toleranz und Umgang mit Rassismus und Verschiedenheit statt und eine Schulsozialarbeiterin wird in diesem Schuljahr einen Kurs an der ZHAW zum Thema rassismuskritische Schulhauskultur besuchen. Das dort erworbene Wissen wird an das Team der Schulsozialarbeit weitergegeben, damit alle Schulen von dem Wissen profitieren.
Die Primarschule Dübendorf befasst sich intensiv mit dem Thema Rassismus. So wird das Thema bei Bedarf auch im Rahmen von Schulkonferenzen thematisiert. Die Schulsozialarbeit trägt mit ihrer Präventionsarbeit dazu bei, ein tolerantes, respektvolles und Rassismus freies Miteinander in den Dübendorfer Schulen zu fördern.
Grüne: Fliesst die Prävention von Rassismus und Antisemitismus in die Tätigkeit der Jugendarbeit der Stadt Dübendorf (KJAD) ein und wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?
Stadtrat: Die Kinder- und Jugendarbeit Dübendorf ist für die Kinder- und Jugendförderung der Stadt Dübendorf verantwortlich und arbeitet als Kinderanimationsteam und als Jugendarbeitsteam mit professionellen Methoden der Sozialpädagogik und der soziokulturellen Animation. Die KJAD fördert, begleitet und animiert Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Entwicklung und Identitätsfindung nach den Prinzipien der Offenheit, Freiwilligkeit und Partizipation. Die Angebote sollen einerseits Kontinuität bieten und andererseits den Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechen und unterscheiden sich in Treffangebote, genderbewusste und/oder gruppenspezifische Begleitung, Mobile Aufsuchende Kinder- und Jugendarbeit und niederschwellige Beratung und Coaching in der Anlaufstelle Space 16-25. Die jungen Menschen werden mit ihren Anliegen ernstgenommen und bei der Umsetzung von eigenen kreativen Ideen oder Projekten unterstützt. Neben den regelmässigen Angeboten und den Projekten sind die Fachpersonen der KJAD bestrebt aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen, mit den Zielgruppen in Dialog zu kommen und die Reflektion und Auseinandersetzung zu fördern. Das wird in niederschwelliger Form umgesetzt, sei es mit einem Themenmonat, ein Ferienprogramm oder durch das Aufhängen von Plakaten und Infomaterial zum Thema. So wurden beim Ausbruch des Konfliktes zwischen Palästina* und Israel Poster aufgehängt, welche Krieg, Frieden und Menschenrechte thematisieren, um den Dialog und die Reflektion der Kinder und Jugendlichen zu fördern.
Denn die rassismuskritische Soziale Arbeit verfolgt drei Ziele:
- Die Veränderung von Betriebsstrukturen, sodass Rassismuserfahrungen für Adressaten, Adressatinnen und Mitarbeitenden verhindert werden
- Der Abbau der Hürden des Thematisierens von Rassismus, damit das Sprechen über Rassismus ermöglicht wird
- Die strukturelle Anklage von Rassismus
Diese drei Ziele sind nur möglich, wenn die Existenz von Rassismus anerkannt wird und man sich über das Thema auseinandersetzt. Eine an Menschenrechten orientierte Soziale Arbeit hat die Aufgabe Menschenrechtsverletzungen, wie z.B: Rassismus zu erkennen, zu benennen und neben der individuellen Unterstützung auch an Lösungen für strukturelle Probleme zu arbeiten.
Auch wird ein besonderer Wert auf die Weiterbildung der Mitarbeitenden gelegt, die regelmässig sich zum Thema fortbilden. Sei es mit Workshops von Amnesty International, als auch Kurse zu rassismuskritischer Jugendarbeit.
Grüne: Welche Möglichkeiten sieht der Stadtrat, die Nutzung des Angebotes Likrat an der Primarschule oder Jugendarbeit Dübendorf anzuregen, ohne die Trennung zwischen strategisch-politischer und operativer Führung zu verletzen? Insbesondere: Welche Möglichkeiten hat die Primarschulpflege?
Stadtrat: Der Lehrplan 21 führt im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft auch den Teilbereich Religionen, Kulturen, Ethik auf. Darin ist unter Punkt 5 die Zielsetzung, dass die Schülerinnen und Schüler sich in der Vielfalt von religiösen Traditionen und Weltanschauungen orientieren können und verschiedenen Überzeugungen respektvoll begegnen, aufgeführt.
Die Fachpersonen in der Schulsozialarbeit kennen die vielfältigen Angebote zur sozialarbeiterischen Unterstützung und Ergänzung dieses Fachunterrichts sehr genau. Likrat kann ein Angebot sein, welches eingesetzt wird.
Grüne: Welche Möglichkeiten hat die Jugendkommission?
Stadtrat: Die Kinder- und Jugendkommission der Stadt Dübendorf ist nicht die politische Vorgesetzte der Kinder- und Jugendarbeit Dübendorf. Die KJAD ist ein Bereich der Abteilung Gesellschaft und ist einem Abteilungsleiter und dem Ressortvorsteher (Andre lngold) direkt unterstellt. Die Aufgaben und Kompetenzen der Jugendkommission, sind im Geschäftsreglements der Jugendkommission, Kapitel III Art.10, aufgeführt
Ergänzung aus der Jugendarbeit (KJAD): Die Möglichkeit das Programm Likrat in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit anzuwenden, sieht die KJAD eher kritisch. Demnach sollten für jede Religion spezielle Aufklärungsprojekte angeboten werden. Die Fachpersonen der KJAD setzten sich mit Rassismus auf einer Ebene auseinander, die Rassismus als allgemeinen Angriff auf die Menschenrechte sieht, wo der Mensch als solcher im Fokus steht und nicht seine Religion oder Nationalität.
In Bezug auf das Know-how der Fachpersonen zum Thema Antisemitismus und Judentum ist eine Weiterbildung mit der „Likrat Public-Begegnung“ möglich und bereichernd.
Wir geben zu bedenken, dass Antisemitismus an einer Schule auch dann ein Problem ist, wenn es dort keine jüdischen Schüler:innen gibt. Jugendliche können sich ohne Prävention trotzdem gegenseitig mit antisemitischen Vorurteilen und Verschwörungstheorien radikalisieren und ausserhalb der Schule Übergriffe begehen, wie der Fall Selnau zeigt.
Beim Zürcher Regierungsrat ist die Ausarbeitung eines Aktionsplans hängig. Bis dieser steht und umgesetzt wird, wären in der akuten, angespannten Situation lokale Sofortmassnahmen wünschenswert.
Wir danken für die sorgfältige Beantwortung unserer Fragen
David Siems, Gemeinderat Grüne Dübendorf
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*Hamas-Regime im Gaza-Streifen, welches sich von der völkerrechtlich legitimierten Autorität der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah (De-facto-Staat Palästina) 2007 einseitig abgespaltet hat. (Anmerkung der Grünen)
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