Der Lehrermangel wird nicht dadurch verursacht, dass der Beruf für Männer zu wenig attraktiv ist. Zahlreiche Faktoren spielen eine Rolle. Und auch Lösungen sind in Sicht, weil das Problem auf politischer Ebene angegangen wird. Ein Gast-Kommentar von Karin Fehr.

Der Lehrerinnen- und Lehrermangel bewegt Schulen, Eltern und Kinder sowie die Bildungspolitik immer wieder. Als besonders schwierig erweist sich seit Längerem die Suche nach Kindergartenlehrpersonen, Schulischen Heilpädagoginnen und -pädagogen, Logopädinnen und Logopäden sowie Schulleitungen. Aufgrund des Bevölkerungswachstums werden die Schülerzahlen im Kanton Zürich in den kommenden Jahr weiter zunehmen. Gleichzeitig werden überdurchschnittlich viele Lehrpersonen in Pension gehen. Der Mangel an Lehrpersonen droht sich zu verschärfen.

Alt Kantonsrat Hanspeter Amstutz thematisiert in seinem Gastbeitrag also ein wichtiges Problem. Ihn beschäftigt dabei vor allem die Frage, wie Männer vermehrt für die Volksschule gewonnen werden können. Auf die Frage, warum es mehr Männer sein müssen, geht er nicht ein.

Zu einfach gemacht
Foto: Karin Fehr Thoma

Foto: Karin Fehr Thoma

Den Grund für den Lehrermangel sieht er vor allem im veränderten Lehrerbild. Seiner Meinung nach wünschen sich Männer das «Klassenschiff als unternehmenslustiger Kapitän zu führen» und sich im «offenen Wettbewerb didaktischer Ideen» zu messen. Männer wollen «wesentliche Inhalte vermitteln» und «sich Zeit für die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler nehmen».

Der ehemalige Real- und Sekundarlehrer fordert «mehr konsequente erzieherische Entscheide» anstelle von «endlosen Beratungsgesprächen über verhaltensauffällige Kinder». Der frühere Lehrerberuf sei von einem «pädagogischen Freiheitsgefühl, verbunden mit sozialer Verantwortung» geprägt gewesen. Der neue Berufsauftrag, der kompetenzorientierte Lehrplan 21 und das Fachlehrersystem sind ihm ein Dorn im Auge. Die Vergangenheit wird als ideal und die Gegenwart als problematisch dargestellt. Damit macht es sich Herr Amstutz aber zu einfach.

Die Zahlen zeigen: Mit jeder Schulstufe nimmt der Männeranteil zu.

Schauen wir doch einmal, was die Bildungsforschung zum Thema Lehrerinnen- und Lehrermangel zu sagen hat. Gemäss Bildungsbericht Schweiz 2018 entwickeln sich Schüler- und Lehrerzahlen nie im Gleichschritt. Verschiedene Faktoren wie die Berufseinstiegsquote, der Beschäftigungsgrad, die Verweildauer im Beruf und die Mobilität der Lehrpersonen sowie deren Arbeitsbelastung entscheiden darüber, wie viele Lehrkräfte uns in der Volksschule zur Verfügung stehen. Auch Bestimmungen zur Zulassung an die Pädagogischen Hochschulen und Richtlinien zu den Klassengrössen spielen eine Rolle.

Ohne dass sich das Lehrerinnen- und Lehrerbild verändert hat, haben im Herbst 2020 – während der Corona-Pandemie  rund 10 Prozent mehr junge Menschen ein Studium für die Volksschule an der Pädagogischen Hochschule Zürich begonnen als ein Jahr zuvor. Die Zahlen zu diesen Studierenden zeigen: Mit jeder Schulstufe nimmt der Männeranteil zu

Finden sich in der Ausbildung zur Kindergarten- und Unterstufenlehrperson fast keine Männer, bilden sich für die Oberstufe (Sekundarstufe I) praktisch gleich viele Männer wie Frauen aus. Der Lehrberuf in der Volksschule ist für Männer also nicht grundsätzlich unattraktiv. Für die geringere Attraktivität des Kindergartenlehrberufs sehe ich vor allem zwei Gründe: Dieser Beruf kann heute nicht zu 100 Prozent ausgeübt werden. Und Kindergartenlehrpersonen verdienen weniger als Primar- und Oberstufenlehrkräfte

Auf Initiative von EVP, Grünen und SP hat der Kantonsrat den Regierungsrat im Mai 2020 damit beauftragt, die rechtlichen Grundlagen für 100-Prozent-Anstellungen bei Kindergartenlehrpersonen zu erarbeiten. Der Regierungsrat hat zudem die Arbeiten für eine bessere Entlöhnung der Kindergartenlehrpersonen aufgenommen. Der Kindergartenlehrberuf wird damit in Zukunft für beide Geschlechter attraktiver werden.

Für die schulische Entwicklung unserer Kinder spielt es zudem kaum eine Rolle, ob sie von Männern oder Frauen unterrichtet werden.

Im Februar 2020 habe ich dem Regierungsrat Fragen zum Lehrerinnen- und Lehrermangel an der Volksschule gestellt: Für ihn ist die Erhöhung des durchschnittlichen Beschäftigungsgrads der Lehrpersonen die wirksamste Massnahme, um dem Mehrbedarf an Lehrpersonen schnell zu begegnen. Der Regierungsrat rechnete vor, dass, wenn sich das durchschnittliche Pensum der Lehrpersonen von heute rund 69 Prozent um 4 Prozent erhöhen liesse, in Zukunft rund 1000 Lehrpersonen weniger benötigt würden.

System überprüfen

Was der Regierungsrat jedoch ausser Acht lässt: Das an der Pädagogischen Hochschule Zürich in der Ausbildung etablierte Fächersystem führt mit dazu, dass heute viele Lehrpersonen gar nicht in höheren Arbeitspensen arbeiten können. Aus diesem Grund haben wir Grünen zusammen mit FDP, EVP und GLP einen Vorstoss dazu im Kantonsrat eingereicht. Wie Hanspeter Amstutz bin ich der Meinung, dass dieses Fächersystem überprüft werden muss.

Zum alten Lehrerbild des «unternehmenslustigen Kapitäns mit mehr konsequenten pädagogischen Entscheiden» möchte ich nicht zurück. Es würde den Anforderungen nicht gerecht, die heute von der Gesellschaft an die Schule gestellt werden. Mit den richtigen Rahmen- und Arbeitsbedingungen sorgen wir auch in Zukunft für genügend Lehrpersonen an unserer Volksschule.

Für die schulische Entwicklung unserer Kinder spielt es zudem kaum eine Rolle, ob sie von Männern oder Frauen unterrichtet werden. Auch das können wir von der Bildungsforschung lernen.

Karin Fehr Thoma ist Kantonsrätin und Stadträtin (Grüne) und wohnt in Uster