Der Bauernverband sagt, es gebe heute weniger Nutztiere in der Schweiz als 1980. Aber nur, weil die Hühner nicht voll gezählt werden.
Das neue Jahr startete nicht nur aufgrund des sonnigen Wetters mit einer Charmeoffensive. Auch an der Jahresmedienkonferenz des Schweizer Bauernverbandes wurde die Landwirtschaft von ihrer besten Seite präsentiert. Es gäbe in der Schweiz keine Massentierhaltung, dem Tierwohl würde genügend Rechnung getragen, und wenn sich jemand verändern sollte, dann sind das die Konsumierenden. Ausserdem gäbe es in der Schweiz heute weniger Nutztiere als noch 1980.
Wer mich kennt, weiss, dass ich grössten Respekt vor der Arbeit der Bauern habe, mit ihnen einen sehr angenehmen und konstruktiven Umgang pflege und sie wirklich schätze. Letztere Aussage jedoch liess mich stutzen: weniger Nutztiere als 1980? Und dies, obwohl die Geflügelbestände explodiert sind? Ich konsultierte sogleich den Agrarbericht des Bundesamtes für Statistik und wurde mit folgenden Tatsachen konfrontiert.
Die Haltung von Nutzgeflügel erlebt einen Boom mit derzeit gut 12 Millionen Tieren. Dies bedeutet den Höchststand seit Beginn der Erhebung des Geflügels in der Agrarstatistik. In der Tierzählung von 1918 betrug der Geflügelbestand 2,9 Millionen Tiere. Seither wächst er und nahm besonders markant zwischen 1996 und 2019 zu. Parallel dazu entwickelte sich die Anzahl Landwirtschaftsbetriebe mit Geflügelhaltung entgegengesetzt. Von 49’000 Betrieben im Jahr 1975 ging die Anzahl auf 21’000 im Jahr 2000 und auf 14’000 im Jahr 2019 zurück. Dies zeigt den starken Strukturwandel in diesem Betriebszweig auf.
Foto: Ein geöffneter Eierkarton (Tim Reckmann, flickr, CC BY 2.0)Die Massen an Hühnern, die von Importfutter leben, haben wenig mit standortgerechter Landwirtschaft zu tun.
Durch die Abnahme der Betriebe mit Geflügel und der Zunahme des gesamten Geflügelbestandes nahm die Anzahl Tiere pro Betrieb stark zu. Auch bei der Eierproduktion zeigt sich dieses Bild: Vor zehn Jahren wurden 747 Millionen Eier produziert. Seither nahm die Produktion zu, sodass im Jahr 2018 die Milliardengrenze überschritten wurde. 2019 legten die rund 3 Millionen Legehennen über 1,033 Milliarden Eier. Klar ist nach diesen Zahlen: Die Anzahl Tiere in der Schweiz hat seit 1980 massiv zugenommen. Wie also kommt der Bauernverband zu seiner Aussage, es gäbe weniger Tiere als 1980?
Ein genauerer Blick auf die Daten des Bauernverbandes offenbart des Rätsels Lösung: Es wird in Grossvieheinheiten (GVE) und nicht in Tieren gezählt. Eine Milchkuh entspricht dabei einer GVE, ein Masthuhn jedoch nur 0,004 GVE, was natürlich den sogenannten Rückgang der Tiere in der Schweiz erklärt. Tatsächlich geht der Kuhbestand zurück, während der Geflügelbestand exponentiell wächst, was insgesamt aber keine gute Nachricht ist, da Kühe als Raufutterverwerter standortgerechter sind als Hühner, die auf importierte Futtermittel angewiesen sind.
Die Schweiz als Grasland tut gut daran, Wiederkäuer auf den nicht zu beackernden Flächen weiden zu lassen. Diese Massen an Hühnern, die von Importfutter leben, haben jedoch wenig mit standortgerechter Landwirtschaft zu tun. Natürlich macht im landwirtschaftlichen Umfeld die Zählung in GVE absolut Sinn – nur müsste man sie an der Medienkonferenz dann auch so betiteln. Wer denkt beim «Rückgang der Anzahl Tiere» schon an Grossvieheinheiten und rechnet damit, dass ein Huhn nur 0.004 Kühen entspricht?
Ein Tier ist ein Tier, ein Huhn ist ein Huhn mit Persönlichkeit, Leidensfähigkeit, Herz und Hirn – und verdient es auch, so behandelt zu werden. Wenngleich sich das kleine «Buebetrickli» für Medienzwecke gut anhört, bleiben wir bei den Fakten, betreiben wir keine Augenwischerei, sondern sorgen wir gemeinsam dafür, dass künftig wieder weniger, dafür artgerechter gehaltene Tiere in der Schweiz leben. Und dafür – da bin ich mit den Bauern einig – müssen insbesondere auch wir Konsumierenden etwas verändern. Der Januar eignet sich ja ganz gut dafür.
Meret Schneider ist grüne Nationalrätin des Kantons Zürich
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