Wie verschiedenen Artikeln der Regionalpresse zu entnehmen ist[1],[2],[3], geriet in Maur ein Bauer durch die Einschätzungspraxis der Gemeinde in starke finanzielle Bedrängnis. Aufgrund einer psychischen Erkrankung war es ihm seit über zehn Jahren nicht möglich, seine Steuererklärung einzureichen. In der Folge wurde er von Jahr zu Jahr höher eingeschätzt, sodass sich nun 80’000 Franken Steuerschulden angehäuft haben und er beinahe seinen Hof verloren hätte.

Vergleichbare Fälle, in denen Menschen mit psychischer Behinderung oder Lernbeeinträchtigung zu Opfern dieser Steuerpraxis wurden, hat es in den vergangenen Jahren in verschiedenen Gemeinden des Kantons immer wieder gegeben, wie zum Beispiel jenen von Ernst Suter in Dürnten[4] oder Simone Stöhr in Männedorf[5].

Einem Interview im Anzeiger von Uster vom 3. Februar 2016 unter dem Titel „Es muss ein neues Denken einsetzen“ ist zu entnehmen, dass eine solche Einschätzungspraxis gegen das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) verstösst. Tatsächlich heisst es in Artikel 2, Absatz 1 und 2 des BehiG:

In diesem Gesetz bedeutet Mensch mit Behinderungen (Behinderte, Behinderter) eine Person, der es eine voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Eine Benachteiligung liegt vor, (…) wenn eine unterschiedliche Behandlung fehlt, die zur tatsächlichen Gleichstellung Behinderter und nicht Behinderter notwendig ist.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das Bundesgericht mit dieser Frage befassen muss und es zu einem Präzedenzurteil kommt. Falls dieses Problem in der Stadt Dübendorf ebenfalls bestehen sollte, muss sich auch unsere Gemeinde früher oder später mit Rückforderungen und negativer Presse auseinandersetzen.

In diesem Zusammenhang bitten wir um die Beantwortung folgender Fragen:

Wiederholte Einschätzungen

Grüne: Sind der Abteilung Steuern der Stadt Dübendorf Fälle aus unserer Stadt bekannt, in denen steuerpflichtige natürliche Personen mangels Steuererklärung wiederholt eingeschätzt werden mussten? Wenn ja, wie viele solcher Fälle gab es innerhalb der letzten fünf Jahre?

Stadtrat: In Dübendorf werden jährlich rund 450 Fälle nach pflichtgemässem Ermessen eingeschätzt. Diverse davon reichen bereits seit Jahren keine Steuererklärung ein. Die Betreibung endet in vielen Fällen in einem Verlustschein oder einer Abschreibung. Eine Untersuchung der Abteilung Steuern im August 2016 hat folgendes Bild ergeben: Unter Berücksichtigung der Parameter Über zwei Jahre keine Steuererklärung eingereicht Ermessenseinschätzung von über Fr. 150’000 (ergibt bei Verheirateten einen Steuerbetrag von rund Fr. 18’000) Steuern bezahlt hat sich ergeben, dass nur ein einziger Fall diese Kriterien erfüllt hat. Eine genauere Untersuchung dieses Falls ergab, dass dem Steueramt Unterlagen vorlagen, die die Höhe der Einschätzung rechtfertigten. Eine weitergehende Überprüfung oder Untersuchung würde aufgrund des Mengengerüstes aufwendig werden und kaum vergleichbare Fälle, wie sie in Dürnten oder Maur vorliegen, hervorbringen (z.B. weil die Steuern nicht bezahlt wurden).

Stellungnahme Grüne: In einer Zeit der Selbstoptimierung, des Dauerstresses, der Karriere um jeden Preis, des Konkurrenzdrucks und der Digitalisierung ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl psychisch kranker Menschen stetig ansteigt. Psychische Erkrankungen können jeden treffen, in jedem Alter und in jeder sozialen Schicht. Plötzlich werden alltägliche Aufgaben zu unüberwindbaren Hindernissen. Eine Steuererklärung – für die meisten von uns ein notwendiges Übel – kann plötzlich zu einer unlösbaren Aufgabe werden. So passiert in Maur. Aufgrund einer psychischen Erkrankung war es einem Bauern während über zehn Jahren nicht möglich, seine Steuererklärung einzureichen. In der Folge wurde er von Jahr zu Jahr höher eingeschätzt, sodass sich Steuerschulden in der Höhe von 80‘000 CHF anhäuften und er beinahe seinen Hof verloren hätte. In verschiedenen Gemeinden des Kantons Zürich wurden in den vergangenen Jahren ähnliche Fälle publik. Ein Einwohner von Dürnten und eine Bürgerin aus Männedorf wurden ebenfalls Opfer dieser Steuerpraxis. Eine solche Einschätzungspraxis verstösst gegen das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Bundesgericht mit dieser Frage befassen muss und es zu einem Präzedenzurteil kommt. Falls dieses Problem auch in Dübendorf bestehen sollte, muss sich auch unsere Gemeinde früher oder später mit Rückforderungen und negativer Presse auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang stellten wir dem Stadtrat einige Fragen. An dieser Stelle möchten wir uns für deren Beantwortung beim Stadtrat und der zuständigen Verwaltungseinheit herzlich bedanken.

Nach Rücksprache mit der Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap, dem Dachverband der schweizerischen Behindertenorganisationen, nehmen wir wie folgt Stellung:

Die Frage, ob der Abteilung Steuern der Stadt Dübendorf ähnliche Fälle wie die vorhin beschriebenen bekannt seien, wird in der Antwort verneint. Hier wollen wir aber festhalten, dass die beschriebenen getroffenen Abklärungen der Steuerverwaltung das Vorliegen eines solchen Falls keineswegs ausschliessen können.

Prävention

Grüne: Wie verhindert die Abteilung Steuern eine Diskriminierung von SteuerzahlerInnen mit psychischen Krankheiten oder Lernbeeinträchtigungen durch wiederholte Einschätzungsentscheide?

Stadtrat: Das Steuersystem basiert auf Eigenverantwortung aller Bürgerinnen und Bürger. Wenn jemand nicht in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, soll ein Beistand eingesetzt werden, welcher bei der Erledigung von administrativen Verpflichtungen helfen kann und ihn entsprechend vertritt. In der Praxis übernehmen auch häufig Angehörige diese Aufgaben. Dadurch sollten Situationen, wie sie in der Interpellation umschrieben sind, möglichst nicht vorkommen.

Es kann im Einzelfall jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass auch in Dübendorf Personen nach pflichtgemässem Ermessen eingeschätzt werden, die unter psychischen Krankheiten oder Lernbeeinträchtigungen leiden.

Stellungnahme Grüne: In der Frage zwei wollten wir wissen, wie die Abteilung Steuern eine Diskriminierung von SteuerzahlerInnen mit psychischen Krankheiten durch wiederholte Einschätzungsentscheide verhindert. In der Antwort auf diese Frage verweist der Stadtrat auf die Eigenverantwortung aller Bürgerinnen und Bürger sowie auf die Beistandschaft. Zwar stimmt es, dass das Erwachsenenschutzrecht die nötigen Instrumente anbietet für den Fall, dass eine Person nicht in der Lage ist, ihre Steuererklärung selber auszufüllen. Hier kommt jedoch dasselbe Problem zum Tragen, wie bei der Steuererklärung: Wie kommt die betroffene Person zu den im Erwachsenenschutzrecht vorgesehenen Unterstützungsmassnahmen, wenn gerade ihre Behinderung sie daran hindert, diese Unterstützung zu beantragen?

Kontaktaufnahme

Grüne: Sieht die Abteilung Steuern eine Möglichkeit, im Rahmen geltenden Rechts solche Diskriminierungen zu vermeiden, z.B. in dem vor der zweiten Einschätzung in Folge beim säumigen Steuerpflichtigen kurz angerufen wird?

Stadtrat: Ein individuelles Kontaktieren in sämtlichen Fällen erachten wir aufgrund der Anzahl Fälle als problematisch. Aufgrund der Vorfälle in anderen Gemeinden ist die Abteilung Steuern jedoch entsprechend sensibilisiert und wird in Einzelfällen eine persönliche Kontaktierung in Erwägung ziehen. 

Stellungnahme Grüne: Weiter stellten wir die Frage, ob die Abteilung Steuern eine Möglichkeit sieht, im Rahmen geltenden Rechts solche Diskriminierungen zu vermeiden, zum Beispiel indem vor der zweiten Einschätzung auf Folge beim säumigen Steuerpflichtigen kurz angerufen wird. Dass die Verwaltung aufgrund der erwähnten Vorfälle in anderen Gemeinden sensibilisiert ist, ist natürlich erfreulich. Hier wollen wir aber betonen, dass sie bei Verdacht auf eine kritische Situation im Sinne der Interpellation gemäss Art. 393 ZGB (Begleitbeistandschaft) verpflichtet ist, Abklärungen vorzunehmen und sicherzustellen, dass die Person die nötige Unterstützung erhält.

Rückzahlung

Grüne: Bei bereits vollendeter Diskriminierung: Welche Möglichkeiten gibt es im Rahmen geltenden Rechts für die Stadt, zur Vermeidung unnötiger Gerichtsverfahren überhöhte Steuerforderungen zu annullieren und bereits bezahlte überhöhte Gemeindesteuern zurück zu erstatten?

Stadtrat: Wie bereits ausgeführt, gab es in Dübendorf nach unseren Recherchen keinen vergleichbaren Fall. Aber aufgrund der geltenden Gesetzgebung ist es grundsätzlich nicht möglich, eine rechtskräftige Einschätzung nach pflichtgemässem Ermessen zu korrigieren. Ebenso ist in solchen Fällen kein Steuererlass vorgesehen (Zürcher Steuerbuch Nr. 34/012 RZ 17). In den vereinzelt vorkommenden Fällen wurden die Steuern letztlich abgeschrieben, weil der Steuerpflichtige die Zahlungen aufgrund der persönlichen Verhältnisse nicht leisten konnte; ein Erlass aber nicht möglich war und eine Betreibung daher aussichtslos und unverhältnismässig schien.

Stellungnahme Grüne: Zu allerletzt wollten wir wissen, welche Möglichkeiten die Abteilung Steuern nach geltendem Recht sieht, im Falle einer bereits vollendeten Diskriminierung überhöhte Steuerforderungen zu annullieren und bereits bezahlte überhöhte Gemeindesteuern zurückzuerstatten. Dies, im Sinne einer Vermeidung unnötiger Gerichtsverfahren. Laut Stadtrat ist es grundsätzlich nicht möglich, eine rechtskräftige Einschätzung nach pflichtgemässem Ermessen zu korrigieren. Ebenso sei in solchen Fällen kein Steuererlass vorgesehen. Diesbezüglich weisen wir darauf hin, dass im Fall Suter in Dürnten die Gemeindeversammlung eine freiwillige Rückzahlung an den Geschädigten beschloss. Dies zeigt, dass die Bevölkerung klar hinter den auf diese Weise Geschädigten steht. Dübendorf als Parlamentsgemeinde kennt die direkte Einflussnahme der Bevölkerung in dieser Form nicht. Es müsste jedoch möglich sein, eine vergleichbare Regelung einzuführen, die es ermöglicht, in einem solchen Fall zumindest den Gemeindesteueranteil zu erstatten.

Eine psychische Erkrankung ist niemandem zu wünschen. Sollte sie aber dennoch auftreten, ist der betroffenen Person wenigstens zu wünschen, dass sie auf funktionierende soziale Strukturen zählen kann.

Wir danken für die sorgfältige Beantwortung unserer Fragen.

Flavia Sutter, Gemeinderätin SP/Grüne, Brigitt Kast, Gemeinderätin SP/Grüne

[1] Bauer Trachsler sitzt immer noch auf seinen Schulden, ZO/AvU, 14. September 2016
[2] Fall Trachsler: Happige Vorwürfe an Amt, ZO/avU, 3. Februar 2016
[3] «Fall Suter» auch in Maur, ZO/AvU, 19. Januar 2016
[4] Steuerschock – Wenn der Steuervogt zuschlägt, Beobachter TV, 16. November 2014
[5] Steueramt schätzt Kranke jahrelang zu hoch ein, 20 Minuten, 10. Mai 2015

Sie können die Interpellation hier herunterladen.