Der Bericht über den Brief des Stadtrates an die Gemeinderätin Flavia Sutter hat mich sehr erstaunt. Der Stadtrat verurteilt darin «aufs schärfste», dass Flavia Sutter den Leiter der Sozialabteilung kritisiert und fordert sie auf, «politisch motivierte Kritik künftig stufengerecht» an die politische Führung, in diesem Fall also an die SVP-Stadträtin Jacqueline Hofer zu richten. Nun stimmt es natürlich, dass Jacqueline Hofer die politische Verantwortung für diese Abteilung hat. Flavia Sutter hat aber nicht nur «politisch motivierte Kritik angebracht», sondern darauf hingewiesen, dass auch die fachliche Leitung dieser Abteilung seit vielen Jahren zu Kritik Anlass gibt. Dass dies berechtigt ist, wurde jüngst auch durch die Berichte des Ombudsmanns und durch die Rüge des Bezirksrats an der Sozialbehörde bestätigt.

Schliesslich ist es die im Gemeindegesetz klar festgehaltene und wichtige Aufgabe des Gemeinderates, die Stadtverwaltung zu kontrollieren und mögliche Missstände aufzudecken. Dass dabei auch an der Personalpolitik Kritik geübt und einzelne leitende Personen ins Schussfeld geraten, lässt sich wohl kaum vermeiden.

Die Sache hat aber auch eine verfassungsrechtliche Seite. Der Gemeinderat steht über dem Stadtrat und muss ihn kontrollieren. Auch auf kommunaler Ebene haben wir Gewaltentrennung. Es ist also nicht Aufgabe des Stadtrates, einzelne Gemeinderäte oder Gemeinderätinnen zu rügen, wenn er glaubt, sie seien falsch vorgegangen. Wenn überhaupt, dann wäre das die Aufgabe des Gemeinderatspräsidenten.

Dass Orlando Wyss von der SVP dann im Glattaler noch einen draufhaut und Flavia Sutter als zukünftige Gemeinderatspräsidentin in Frage stellt, war zu erwarten und ist nicht allzu ernst zu nehmen. Dass aber der Stadtrat seine Kompetenzen eindeutig überschreitet und sich so vor den Karren der SVP spannen lässt, gibt mir zu denken.

Reto Agustoni (Jurist), Gockhausen