Rede von Flavia Sutter, gehalten im Im Wil, Alters- und Spitexzentrum in Dübendorf am 1. August 2021

Sehr geehrte Anwesende

Ich freue mich, dass ich heute, am 1. August, ein paar Worte an Sie richten darf. Ganz herzlichen Dank für die Einladung. Letztes Jahr durfte ich als frisch gewählte Gemeinderats-Präsidentin auch schon an der Feier dabei sein. Die Rede hielt letztes Jahr mein Vorgänger Reto Heeb. Nun bin ich Alt-Gemeinderatspräsidentin und wurde darum angefragt für die Festrede. Dieser Tradition folge ich gerne.

Foto: Flavia Sutter

Foto: Flavia Sutter

Mein Name ist Flavia Sutter, ich bin Gemeinderätin seit 2014, also seit sieben Jahren. Früher wohnte ich hier in der Nachbarschaft, in dem lachsfarbenen Haus gleich neben dem Alterszentrum an der Fällandenstrasse. Jetzt wohne ich mit meinem Mann und unseren Kindern aber schon länger im Weiler Stettbach. Von Beruf bin ich Primarlehrerin und arbeite in Schwamendingen an der Mittelstufe.

Das Leben hat sich ja für die meisten von uns verändert, seit sich der Corona-Virus verbreitet hat. Auch die 1. August-Feier hier ist nicht mehr dieselbe wie früher. Ich erinnere mich, dass ich vor einem Jahr etwas enttäuscht war, dass ich nur mit wenigen Leuten sprechen konnte an der Feier. Aber die Feier hat stattgefunden und sie findet auch dieses Jahr statt. Das finde ich super. Und dieses Jahr sind wir schon wieder ein bisschen näher zusammen. Wir mussten und müssen zum Teil immer noch aus Vernunft und Vorsicht auf einiges verzichten, das vorher selbstverständlich war. Zusammen feiern, zusammen essen, sich umarmen, sich besuchen. Ich glaube, ich komme an dieser Rede zum Geburtstag der Schweiz nicht darum herum, auch über Corona zu sprechen. Ich finde die Auseinandersetzung mit diesem Problem auch wirklich wichtig. Aber dazu später noch mehr.

Gerne blicke ich zuerst kurz auf mein Präsidiumsjahr im Gemeinderat zurück. Weil ich GR-Präsidentin war, stehe ich ja auch hier. Und der Geburtstag der Schweiz hat viel mit Heimat zu tun und für mich und wahrscheinlich auch vielen von Ihnen ist Dübendorf die Heimat oder mindestens ein Stück Heimat. Mein Amtsjahr ging von Anfang Juli 2020 bis Anfang Juli 2021 und – ich glaube, das kann man so sagen – es war ein spezielles Jahr. Speziell, weil die Massnahmen gegen die Verbreitung des Virus fast alle Anlässe verhinderten: kaum Einladungen, keine GV’s, keine öffentlichen Auftritte, kein Ratsausflug. Das war natürlich schade, weil ich vor allem den Austausch mit der Bevölkerung sehr schätze. Darauf habe ich mich gefreut und das hat mir gefehlt. Aber die Arbeit im Gemeinderat ging weiter, wir konnten trotzdem neun Sitzungen durchführen.

Kampagne der BDP, CVP, EVP, GLP, SP und Grünen für Tempo 30 in Dübendorf

Kampagne der BDP, CVP, EVP, GLP, SP und Grünen für Tempo 30 in Dübendorf

Das Thema Tempo 30 auf der Strasse hat uns immer wieder beschäftigt im Rat und hat für manch hitzige Voten gesorgt. Die einen oder anderen von Ihnen haben sicher auch miteinander diskutiert, ob es Sinn macht, in den Quartieren Tempo 30 einzuführen oder nicht. Viele Leserbriefe mit ganz unterschiedlichen Meinungen wurden geschrieben im Glattaler. Schlussendlich lehnte das Stimmvolk die Vorlage ab. Schade aus meiner Sicht. Aber das Volk hat das Sagen und das ist gut so.

Was mir auch speziell in Erinnerung bleibt aus dem Präsidiumsjahr ist der Kauf von Stockwerkeigentum in einem Hochhaus im Hochbord-Quartier. Der Plan ist, darin eine Schule einzurichten. Es ist gut, dass dieses Quartier, in dem so viel gebaut wird, jetzt auch eine Schule bekommt. Aber es ist schon ein bisschen verrückt: Eine Schule in einem Hochhaus. Das hat nicht jede Gemeinde! Als Lehrerin bin ich natürlich besonders neugierig, wie diese Hochhausschule wird.

Auch nicht ganz alltäglich war die Revision der Gemeindeordnung. Dafür bildeten wir eine Spezialkommission. Und wir bildeten auch eine Spezialkommission für die Begleitung der Administrativuntersuchung der Sozialhilfe Dübendorf. Auch das etwas ganz Aussergewöhnliches, wo wir unter anderem mit dem Stadtpräsidenten André Ingold zusammenarbeiteten.

Das war ein Mini-Rückblick auf mein Präsidiumsjahr – jetzt aber möchte ich den Blick auf die Jubilarin richten, auf die Schweiz, die heute Geburtstag hat. 730 Jahre ist die Schweiz alt – ein stolzes Alter! 730 Jahre, in denen viel passiert ist, Menschen wurden geboren, Menschen starben, es gab Kriege und Versöhnungen, Freud und Leid, Lust und Frust über all die Jahrhunderte. Sie, die Sie schon einige Jahrzehnte gelebt haben, können sicher über vieles berichten aus der vergangenen Zeit. Bei mir sind es erst fünf Jahrzehnte, aber immerhin! Aber ich glaube wir alle haben in der Schweiz nie vorher eine solche Zeit erlebt wie die Jetzige. Dieser Virus hat unser Leben auf den Kopf gestellt und er fordert uns heraus. Einerseits ist da der Virus, der einen krank machen kann. Für einige von uns ist er sogar eine tödliche Gefahr. Andererseits ist da unser Umgang mit dem Virus. Welche Massnahmen sind die Richtigen? Wer bestimmt? Wie streng sollen die Massnahmen sein? Ich stelle fest, dass viele Menschen grosse Angst hatten und haben. Andere wieder sind ganz und gar unbekümmert. Diese unterschiedlichen Meinungen und Haltungen bieten
grosses Konfliktpotenzial. Ängstliche und Unbekümmerte, Impfbefürworter und Impfgegnerinnen, Wissenschaft und Politik sind im Clinch miteinander. Wir Menschen suchen einen Weg, mit dem Virus umzugehen, die verschiedenen Länder gehen verschiedene Wege. In der Schweiz ist es der Bundesrat, der massgeblich bestimmt, welche Massnahmen getroffen werden. Ein Gremium von sieben Leuten, die gewählt sind vom National- und Ständerat, der wiederum vom Volk gewählt ist. Der Bundesrat lässt sich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beraten und auch die Kantonsregierungen werden angehört und bestimmen mit. Und alle von uns, die das Stimm- und Wahlrecht haben, können mitbestimmen. Wir haben nach einem Referendum über das Covid-Gesetz abgestimmt, jetzt gibt es wiederum ein Referendum dagegen und wir können voraussichtlich nochmals abstimmen. Diese Möglichkeiten haben wir in der Schweiz, wir müssen nicht gewaltsam werden und Steine werfen. Dank diesen Abstimmungen wird das Thema breit und öffentlich diskutiert – recht so! Das gefällt mir an der Schweiz: Alles ist ein bisschen komplizierter und geht ein bisschen langsamer, aber alle können sich und ihre Meinung einbringen. Das ist manchmal mühsam und unbequem, aber es macht Sinn, finde ich. Dranbleiben, diskutieren, streiten – aber immer mit Respekt und Anstand! So kommen wir als Gesellschaft weiter. Denn: Jede Krise ist auch eine Chance. Wenn es uns gelingt, als bunt gemischter Haufen – und das ist unsere Bevölkerung – gemeinsam einen Weg zu finden aus der Krise, können wir viel gewinnen, stark werden als Gesellschaft und zusammenwachsen.

Die Krise rund um den Virus verschärft Probleme, die vorher schon existiert haben. Zum Beispiel ist einer breiten Öffentlichkeit vor Augen gehalten worden, dass das Pflegepersonal zum Teil unter schwierigen Bedingungen arbeitet und schlecht bezahlt ist. Auch in anderen, für eine gut funktionierende Gesellschaft wichtige Berufe, sind die Löhne tief und man geniesst wenig Anerkennung. Finden wir Lösungen für diese Missstände? Gelingt es uns, hier Veränderungen anzustossen? Findet nach und nach ein Umdenken statt? Auf jeden Fall zeigt uns die Krise auf, wo es hapert. Diese Erkenntnisse sollten wir nutzen und nach konstruktiven Lösungen suchen.

Nun zu einem ganz anderen Thema. 2021 ist auch ein Jubiläumsjahr! Vor 50 Jahren wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt. Ich denke, das war nicht nur für die Frauen ein denkwürdiges Ereignis, sondern auch für die Männer. Plötzlich konnten doppelt so viele Menschen an die Urne gehen und mitbestimmen. Das war ein grosser Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Einige von Ihnen haben an diesen historischen Moment vielleicht eigene Erinnerungen. Ich war damals erst zwei Jahre alt. Aus heutiger Sicht ist es für mich nicht mehr vorstellbar, dass die Frauen nicht stimm- und wahlberechtigt waren. Frau war damals nicht nur nicht stimmberechtigt, sondern konnte sich auch nicht in ein politisches Amt wählen lassen.

Auf Wikipedia habe ich nachgelesen zu diesem Thema und ich möchte Ihnen ein paar interessante Fakten weitergeben.

  • Die Schweiz war eines der letzten Länder in Europa, die ihren weiblichen Bürgerinnen das Stimm- und Wahlrecht zugestanden, aber sie war das erste Land, das diesen Entscheid mit einer Volksabstimmung fällte. Und es waren ja nur Männer, die abstimmten.
  • Auf kantonaler Ebene dauerte es noch länger: 1990 führte der Kanton Appenzell Innerrhoden als letzter Kanton das Stimmrecht auf kantonaler Ebene ein. Aber nur, weil eine Gruppe von Frauen vor Bundesgericht klagte! In einer Gemeinde im Kanton Basel-Stadt übernahm 1958 die erste Frau in der Schweiz ein politisches Amt. Die Gemeinde führte schon 1958 das Frauenstimmrecht auf kommunaler Ebene ein, so konnte diese Frau Bürgerrätin werden.
  • Im Kanton Zürich dauerte es fast noch zehn Jahre, bis die Gemeinden so weit waren. Und, man höre und staune: Dübendorf war im Kanton eine der ersten Gemeinden, die das Frauenstimmrecht auf kommunaler Ebene einführten. Das war 1969, in meinem Geburtsjahr! Dübendorf ist ja sonst eher eine konservative Gemeinde, die nicht vorprescht, wenn es um Neuerungen geht. Aber beim Frauenstimmrecht war sie schnell. Danke im Nachhinein an alle Männer, die damals Ja gestimmt haben!
50+2 Jahre Frauenstimmrecht in Dübendorf (Foto Einhorn: Yvonne Wälle, fotowelle.ch)

50+2 Jahre Frauenstimmrecht in Dübendorf (Foto Einhorn: Yvonne Wälle, fotowelle.ch)

Und jetzt machen wir einen Sprung in die heutige Zeit. Wo steht Dübendorf heute? Das Stimm- und Wahlrecht haben die Frauen natürlich immer noch. Aber bei den politischen Ämtern hapert es noch. Zwei von sieben Stadträten sind Stadträtinnen – eine sitzt hier unter uns, Jacqueline Hofer. 14 von 40 Gemeinderäten sind Gemeinderätinnen. Die Frauen sind also immer noch untervertreten. Sie machen etwa 50 Prozent der Bevölkerung aus, also sollten sie auch ungefähr in diesem Verhältnis in den Gremien vertreten sein, finde ich. Das ist noch nicht der Fall.

Kürzlich habe ich mit zwei anderen Frauen einen Workshop organisiert zum Thema Frauen und Politik. Eine Frau nahm teil, die seit kurzem pensioniert ist. Sie fragte sich, ob sie sich vielleicht in der Politik engagieren soll, jetzt, wo sie wieder mehr Zeit hat. Aber sie fragte sich auch, ob sie nicht zu alt sei, ob nicht eher die Jungen ans Ruder sollen. Ich finde das eigentlich eine ganz gute Idee, als Frau in die Politik einzusteigen, wenn man pensioniert wird. Man hat Zeit und Musse, man hat Lebenserfahrung, ist vielleicht sogar etwas selbstsicherer und lockerer drauf als jüngere Frauen. Ideale Voraussetzungen! Es braucht die Frauen in der Politik, sie bringen andere Sichtweisen ein und denken und handeln oft sozialer als die Männer. Ich habe schon ein paar Mal erlebt, dass mir Ehefrauen meiner bürgerlich gesinnten Ratskollegen gesagt haben: «Weißt du, ich bin viel sozialer eingestellt als mein Mann.» Das brauchen wir in den Gremien, mit der Corona-Krise mehr denn je, denn es ist nicht nur eine wirtschaftliche sondern auch eine soziale Krise. Gut – das war ein kleiner Werbeblock für ein Engagement in der Politik. Vergessen wir aber nicht all die Frauen und Männer, die im Hintergrund unbezahlte Arbeit leisten. In der Familie, in den Vereinen, bei den Nachbarn. Wir betreuen unsere Kinder, hüten unsere Enkel, wir pflegen unsere Eltern, wir geben unser Wissen im Verein weiter, wir sammeln Zeitungen, wir gehen für die Nachbarin einkaufen und und und. Ohne diese Leistungen, die viele von uns erbringen, ohne es gross zu hinterfragen, ohne zu murren würde unsere Gesellschaft schlecht funktionieren, da bin ich mir sicher. Lohn gibt es für diese Tätigkeiten keinen – das wäre auch einmal zu diskutieren – aber nicht jetzt, keine Angst. Sonst läuft diese Rede zeitlich aus dem Ruder. Aber auf jeden Fall ist gesellschaftliche Anerkennung wichtig und das Bewusstsein für den Wert dieser Tätigkeiten im Hintergrund. Damit komme ich zum Schluss meiner Ansprache. Zusammenfassend möchte ich sagen:

Halten wir Ohren, Augen und Herz offen. Tolerieren wir andere Meinungen, urteilen wir nicht zu schnell über solche, die anders sind als wir und anders denken. Diskutieren und streiten wir miteinander, aber achten wir darauf, dass wir anständig und respektvoll bleiben. Engagieren wir uns in unserem Umfeld, mit unseren Möglichkeiten und geben das weiter, was uns wichtig ist. Trauen wir uns auch Dinge zu, die uns gewagt erscheinen!

Dann kommt’s gut, dann kommt die Schweiz weiter, denn wir sind die Schweiz.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich über persönliche Kontakte heute hier oder auch per Telefon, Mail oder Post. Vielleicht sieht man sich auch an der 1.August-Feier heute Abend vor der Oberen Mühle oder am Jubiläumsfest 50 Jahre Frauenstimmrecht im September.

Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Fest und en Guete!

Flavia Sutter, Alt-Gemeinderats-Präsidentin