Download: Memorandum: Prüfung Strafanzeige Sozialhilfe Dübendorf

A Ausgangslage und Auftrag

1 Am 2. November 2020 hat der Gemeinderat der Stadt Dübendorf («Gemeinderat») gestützt auf den Antrag des Stadtrates der Stadt Dübendorf («Stadtrat») vom 14. Oktober 2020 und demjenigen des Büros des Gemeinderates vom 19. Oktober 2020 eine Spezialkommission zur Begleitung der Administrativuntersuchung Sozialhilfe Dübendorf («Spezialkommission») eingesetzt.

2 Mit der Durchführung der Administrativuntersuchung wurde RA Prof. Dr. iur. Tomas Poledna beauftragt («Untersuchung»). Im Untersuchungsbericht vom 21. Dezember 2021 («Untersuchungsbericht») hält RA Prof. Dr. iur. Tomas Poledna u.a. fest, dass den Sozialdetektiven das durch die Gesuchstellenden ausgefüllte Anmeldeformular «Antrag auf Sozialhilfe» («Formular») als Ganzes vorab per E-Mail zugestellt worden sei. Auf dem Formular seien zahlreiche persönliche Daten der Gesuchstellenden zu finden, welche für die Arbeiten der Sozialdetektive nicht notwendig seien. Dieses Vorgehen finde keine gesetzliche Grundlage und verletze auch unter dem Aspekt der Notwendigkeit der Datenweitergabe datenschutzrechtliche Vorgaben klar. Zudem sei dieses Vorgehen – sollte es in Einzelfällen nachgewiesen werden können – voraussichtlich als Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 («StGB») zu werten. Die Verletzung von Art. 320 StGB sei von Amtes wegen zu verfolgen; die Verjährungsfrist für die Verfolgung der Straftat betrage 10 Jahre (Untersuchungsbericht, Rz. 84).

3 Aufgrund dieser Feststellungen empfahl die Spezialkommission mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 («Erster Stadtratsbeschluss»), was folgt: Der Stadtrat sei aufgefordert, zu prüfen, wer für die Weitergabe der Anmeldedossiers der Sozialhilfe-Gesuchstellenden an dieSozialdetektive verantwortlich war. Sodann soll er die Einreichung einer Anzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB) prüfen (Erster Stadtratsbeschluss, S. 4).

4 Mit Schreiben vom 14. Januar 2022 («Schreiben») erteilte der Stadtrat den Rechtsanwälten von Brun & Forrer – mit Verweis auf Rz. 84 und 284 des Untersuchungsberichts und Seite 4, zweitletzter Abschnitt des Ersten Stadtratsbeschlusses – den Auftrag, den Bedarf bzw. die Angemessenheit einer Strafanzeige gegen Unbekannt aufgrund einer allfälligen Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB) im Bereich Sozialhilfe Dübendorf zu prüfen.

5 Mit Beschluss vom 27. Januar 2022 («Zweiter Stadtratsbeschluss») ersuchte der Stadtrat den Bezirksrat Uster («Bezirksrat»), sowohl die Mitglieder des Stadtrates als auch RA Prof. Dr. iur. Tomas Poledna und seine Mitarbeitenden gegenüber den Rechtsanwälten von Brun & Forrer für die Prüfung und gegebenenfalls Erarbeitung und Einreichung einer allfälligen Strafanzeige vom Amtsgeheimnis zu entbinden (Ziff. 1 des Zweiten Stadtratsbeschlusses). Des Weiteren wurden die Mitglieder des Stadtrates sowie RA Prof. Dr. iur. Tomas Poledna und seine Mitarbeitenden im selben Beschluss des Stadtrates ermächtigt, gegenüber den Rechtsanwälten von Brun & Forrer sämtliche benötigten Auskünfte mündlich oder schriftlich zu erteilen sowie einverlangte Dokumente und Akten offenzulegen (Ziff. 2 und 3 des Zweiten Stadtratsbeschlusses).

6 Mit Beschluss vom 8. Februar 2022 («Bezirksratsbeschluss») hiess der Bezirksrat den Antrag des Stadtrates insofern gut, als dass der Präsident und die Sozialvorständin des Stadtrates von der Amtsgeheimnispflicht im Zusammenhang mit der Prüfung und gegebenenfalls mit der Erarbeitung und Einreichung einer Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung im Bereich Soziales gegenüber der Anwaltskanzlei Brun & Forrer und den dort tätigen Rechtsanwälten entbunden wurden (vgl. Bezirksratsbeschluss, Ziff. I).

7 In der Folge wurden uns neben dem vollständigen Untersuchungsbericht weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt, insbesondere die Befragungsprotokolle, die leere Vorlage des Gesuchsformulars sowie ein ausgefülltes Gesuchsformular.

B «Management Summary»

8 Der Stadtrat unterliegt unseres Erachtens einer Anzeigepflicht gemäss § 167 GOG. Eine Pflicht zur Anzeige besteht grundsätzlich bei Vorliegen eines «erheblichen Tatverdachts», was eine Ermessensfrage ist (vgl. Rz. 17 ff.).

Es stellt sich deshalb vorliegend die Frage, ob aufgrund der verfügbaren Informationen ein erheblicher Tatverdacht auf eine Amtsgeheimnisverletzung gemäss Art. 320 StGB bejaht werden kann (vgl. ausführlich Rz. 23 ff.). Soweit ersichtlich, ergibt sich der Verdacht, dass vollständige Formulare mit allen persönlichen Angaben der Gesuchsteller an private Sozialdetektive weitergeleitet wurden, ausschliesslich aus den im Rahmen der Administrativuntersuchung durchgeführten Befragungen. Anderweitige Beweismittel, welche diesen Verdacht bestätigen würden, liegen uns keine vor (vgl. Rz. 25).

Gemäss Art. 320 Ziff. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat (vgl. Rz. 27 ff.).

11. Aufgrund der uns vorliegenden Unterlagen bestehen unserer Ansicht nach konkrete Anhaltspunkte, dass mit der Weiterleitung der vollständigen Formulare mit den besonders schützenswerten Personendaten der Gesuchstellenden an die Sozialdetektive der objektive Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung gemäss Art. 320 Ziff. 1 StGB erfüllt wurde (vgl. Rz. 31 ff.): Die Angaben der Gesuchstellenden auf dem Formular wurden den Mitarbeitenden des Sozialamts nämlich in ihrer Eigenschaft als Beamte anvertraut. Nach unserem Dafürhalten handelt es sich bei den Angaben um Daten, die unter das IDG fallen und als besonders schützenswert gelten (vgl. Rz. 34 ff.). Es ist unseres Erachtens davon auszugehen, dass die Gesuchstellenden in Bezug auf ihre Daten nicht nur ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung hatten, sondern mangels Einwilligung auch zumindest stillschweigend den Willen zur Geheimhaltung dieser Daten bekundeten. Die an die Sozialdetektive weitergeleiteten Personendaten auf den Formularen stellen deshalb unserer Auffassung nach Amtsgeheimnisse dar (vgl. Rz. 39 f.). Fraglich und nicht restlos geklärt scheint allerdings, ob die Weiterleitung des Formulars an Sozialdetektive den objektiven Tatbestand erfüllt, obwohl diese selbst im öffentlichen-rechtlichen Auftrag handelten und ihrerseits dem Amtsgeheimnis unterstanden (vgl. Rz. 47 f.). Unseres Erachtens kann argumentiert werden, dass die Weiterleitung trotzdem tatbestandsmässig war, da eine Offenbarung sämtlicher Angaben für die Aufgabenerfüllung der Sozialdetektive weder notwendig noch erforderlich war (vgl. Rz. 48). Prof. Dr. Poledna scheint diese Auffassung in seinem Untersuchungsbericht zu teilen (vgl. Untersuchungsbericht, Rz. 84). Darüber hinaus sind für uns auch keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich, welche die Weiterleitung sämtlicher Personendaten der Gesuchstellenden erlauben würden (vgl. Rz. 54).

12. Ob der subjektive Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung gemäss Art. 320 Ziff. 1 StGB erfüllt wurde (vgl. Rz. 50 ff.), können wir vor allem mangels konkreter Tatverdächtiger und mangels (detaillierter) Aussagen der Involvierten nicht beurteilen (vgl. Rz. 51). Aus unserer Sicht sind jedoch generell womöglich erfolgversprechende Argumente gegen einen Vorsatz ersichtlich. Insbesondere könnte argumentiert werden, dass davon ausgegangen wurde, eine Weiterleitung an Sozialdetektive, die im öffentlich-rechtlichen Auftrag handeln und deshalb ebenfalls einer Geheimnispflicht unterstehen, sei erlaubt gewesen (vgl. Rz. 52).

Aus den verfügbaren Unterlagen geht keine eindeutige (mutmassliche) Täterschaft und/oder Verantwortung für die Weiterleitung der Formulare an die Sozialdetektive hervor (vgl. Rz. 33 und 51). So steht bspw. nicht einmal fest, wer alles von diesen Weiterleitungen Kenntnis hatte. Zudem sind uns auch die konkreten Aufgabenbereiche einzelner Personen in Bezug auf den Beizug von Sozialdetektiven nicht bekannt. Unklar ist zudem auch, in wie vielen Fällen eine Weiterleitung des Formulars an Sozialdetektive erfolgt ist. Die allfällige Täterschaft müsste daher zuerst ermittelt werden. Dies kann entweder durch eigene weiterführende Abklärungen versucht werden, wie z.B. durch (erneute) Befragungen von involvierten Personen oder Suche nach weiteren Dokumenten und Korrespondenzen, oder den Strafbehörden überlassen werden. Ohne weiterführende Abklärungen sollte eine allfällige Strafanzeige unseres Erachtens deshalb zwingend gegen Unbekannt erstattet werden.

Im Ergebnis gibt es nach unserem Dafürhalten – trotz der angesprochenen offenen Fragen – genügend konkrete Hinweise, die einen erheblichen Tatverdacht auf eine Amtsgeheimnisverletzung gemäss Art. 320 Ziff. 1 StGB zu begründen vermögen. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des grossen medialen Interesses, welches u.a. auf die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse erfolgte, kann aus unserer Sicht eine Strafanzeige gegen Unbekannt als angezeigt und angemessen beurteilt werden. Ob eine solche Strafanzeige in der Folge zur Eröffnung eines Strafverfahrens führt und ob nach Durchführung eines allfälligen Strafverfahrens Personen für strafbar befunden würden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der offenen Fragen und fehlenden Beweismittel nicht abschliessend beurteilen.

C Analyse

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